„Welcome to Iran, thank you that you are here, it’s an honour that you are our guests“ – diese Botschaften haben uns in den 3 Monaten durch das Land getragen. Ganz gleich wo, ob im Gebirge, bei Sehenswürdigkeiten, in der Stadt oder am Land, von Privaten oder sogar Polizisten, wir wurden immer herzlichst willkommen geheißen. Fast immer war damit eine Einladung zum Essen und in die Familie verbunden. So bekamen wir unglaublich viele Facetten des Alltags mit, besonders wenn zumindest ein Familienmitglied Englisch sprechen konnte. Es wurde auch uns echtes Interesse entgegengebracht, vermutlich um die Bilder aus dem Internet mit der Realität abzugleichen. Ab und zu hatten wir das Gefühl ein Fenster zu öffnen und Sehnsüchte zu wecken, die hier im Iran nur wenige befriedigen können. Viele haben keinen Pass oder nicht genug Geld um überhaupt an eine Auslandsreise zu denken. Studenten z.B., die einen Studienplatz an einer Partneruniversität hätten, bekommen die Ausreisegenehmigung so spät, sodass das Stipendium bereits abgelaufen ist. Es gibt viele solche Geschichten, die uns mit einem resignierenden Lächeln erzählt wurden. „The keyword is acceptance“ meinte ein Englischkollege in Tabriz, der trotz aller Schwierigkeiten versucht international vernetzt zu bleiben und nicht in Depression zu verfallen. Mit unglaublichem Langmut, Geduld, manchmal Zynismus, aber ungetrübter Lebensfreude, ertragen viele die Diskrepanz zwischen ihren Wünschen und der Realität. Der private Garten, der hinter einer unscheinbaren Mauer liegt und in dem unkontrolliert gegessen, getanzt und gesungen wird, ist für uns das Symbol für den unbändigen Überlebenswillen der Menschen.
Allerdings war diese überbordende Gastfreundschaft auch manchmal sehr anstrengend. Wir möchten gar nicht wissen, auf wie vielen Handyfotos wir verewigt sind. Da es keine Infrastruktur für Camper gibt, waren wir immer im öffentlichen Raum unterwegs und ohne Rückzugsmöglichkeit. Erst in Kerman, im Hof des Hotels Akhavan, genossen wir eine geschützte Atmosphäre, ohne dauernd fotografiert zu werden oder freundlichen Menschen unser Auto zu zeigen.
Mit größter Verwunderung nahmen wir zur Kenntnis, dass Religion zwar eine Rolle spielt, aber so in den Alltag integriert ist, dass man es als Besucher kaum merkt. Es ruft kein Muezzin 5 Mal am Tag, alle Moscheen dürfen von Nicht-Moslems besucht werden. Natürlich gibt es auch die befremdlichen Rituale während des Ashura Monats, wie wir es in Yazd erlebt haben, und wir waren auch nicht in den heiligen Städten Ghom und Mashad, wo uns Reisende von einer eher beklemmenden, religiös aufgeladenen Atmosphäre berichteten. Wir haben mit vielen, vor allem jungen Iranern und Iranerinnen gesprochen, die gläubig sind, aber mit vielen Ritualen und engen Koranauslegungen nichts am Hut haben.
„I am my own God, I don’t listen to the Mullahs“ rief uns ein junger Iraner zu. Die Ouzo Flasche macht die Runde, wir sitzen alle unter einer Brücke, lachen und hören laute iranische Musik. Er tanzt mit seiner Freundin, die kein Kopftuch trägt. Diese Generation ist es, die mit den Verboten nichts bis wenig anfangen kann und ungeduldig Veränderung herbeisehnt. Allerdings sind sich alle einig, dass diese Veränderung nicht von außen kommen kann. Immer wieder wurde die große Leistung des aktuellen Regimes angemerkt, in einer instabilen Region Stabilität zu garantieren. Kritik wird vor allem an der Wirtschaftspolitik, der Freunderlwirtschaft und den vielen Ge- und Verboten geäußert. Der undurchschaubare Polizeiapparat und ihre Machenschaften werden gefürchtet.
„The Iranian people are lazy and don’t obey orders – just see how they drive!“ - unser Wüstenfuchs Merdad weiß, wovon er spricht. Autofahren im Iran steht unter dem Motto „Wir kommen alle in den Himmel und zwar sofort!“. Jeder fährt irgendwie, gegen die Einbahn, ohne Licht, überholt rechts und links um dann vor dir scharf abzubremsen, weil das Handy läutet. 2 Erwachsene und 2 Kinder am unbeleuchteten Moped im dichten Verkehr sind normal, in den Rückspiegel schauen oder sogar bremsen gibt es nicht. Radfahrer und Fußgänger sind besonders „fearless“, das Überqueren der Straße ist ein Spießrutenlauf, selbst wenn es einen Zebrastreifen gibt. Wir haben schreckliche Unfälle gesehen, und angeblich gibt es im Jahr mehr Tote im Straßenverkehr als im Irakkrieg. Gott sei Dank, sind wir bis jetzt in keinen Unfall verwickelt gewesen.
Viele Frauen sind besonders kreativ beim Umgehen von Vorschriften. Sie tragen zwar ein Kopftuch, aber am Rücken schaut ein langer, geflochtener Zopf hervor. Sie tragen einen schwarzen Mantel, der so raffiniert geschnitten ist, dass die tolle Figur perfekt betont wird. Sie lassen sich die Nase operieren, weil das Gesicht das wichtigste Schönheitsmerkmal für die Öffentlichkeit ist. Frauen dürfen nur an wenigen ausgewiesenen Orten joggen, also nehmen sie Rollerscates. Und es gibt noch viele ähnliche Beispiele. Möge ihnen es nie an kreativen Ideen fehlen!
Landschaftlich und klimatisch war es das abwechslungsreichste Reiseland, in dem wir jemals unterwegs waren. Wir haben 40° Hitze ertragen und Schneefall erlebt. Wir sind mit Cappuccinno und Audax auf über 3000m geklettert, waren am Meer; haben Gebirge, Canyons, Vulkane, fruchtbare Ebenen, Wüsten und Städte intensiv genossen. Hier ist uns erst wirklich bewusst geworden, welche unglaublichen kulturellen und historischen Schätze zu finden sind und welche Bedeutung diese auch für Europa hatten und haben.
Im März 2020 wird gewählt. Immer wieder fragten wir uns, ob die Mullahs mit ihren alten Vorstellungen, Regeln und Koraninterpretationen wirklich wissen, was in den Köpfen der vielen energiegeladenen und lebenshungrigen Menschen vorgeht. Können sie diese stillhalten oder wird ihre Geduld überspannt? Wir haben keine Ahnung. Wir wissen nur, dass unser europäischer Blick keine Antworten bietet. Den vielen wunderbaren Menschen wünschen wir eine Zukunft, die genau das bringt, was sie und ihr Land brauchen – selbst entworfen und umgesetzt, ohne Einmischung von außen.
با تشکر از شما برای زمان فوق العاده در این کشور
(danke für die wunderbare Zeit in diesem Land)
unsere Reiseroute im Iran:
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Stephanie (Montag, 02 Dezember 2019 23:08)
Danke für diese schöne Zusammenfassung- ich freue mich von Herzen mit euch mit, dass euch eure Reise so taugt und ihr reich an neuen Erfahrungen und Erlebnissen zurückkommen werdet! Und ich freu mich ehrlich zu lesen, dass die jungen Iraner sich trauen kreativ zu sein!!